Weckruf für die Agenda 2030

22. Mrz 2022 | Gastbeitrag

Letztes Jahr legte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres eine ehrgeizige «gemeinsame Agenda» vor, um die Ziele der Agenda 2030 voranzubringen. Sie findet breite Unterstützung in der Zivilgesellschaft, insbesondere bei der weltweiten Jugendbewegung. Dank dieser könnte die Agenda einen Schub für eine gerechte und nachhaltige Welt auslösen. Auch die Schweiz unterstützt die Empfehlungen der Agenda.

Die UNO-Generalversammlung nahm den 75. Jahrestag ihres Bestehens 2020 zum Anlass, per Resolution die Mitgliedsstaaten zur verstärkten internationalen Zusammenarbeit aufzurufen, und verwies dabei auf die fünf Jahre zuvor verabschiedete Agenda 2030 mit ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs): Sie sei «der Fahrplan, dem wir folgen müssen, um unser Überleben zu sichern. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Deshalb sind wir hier nicht zusammengekommen, um zu feiern, sondern um zu handeln.»

Die Generalversammlung forderte ihren Generalsekretär Antonio Guterres auf, Empfehlungen vorzulegen, «wie wir unsere gemeinsame Agenda voranbringen und den aktuellen wie künftigen Herausforderungen begegnen können», anders formuliert: … wie der Agenda 2030 neues Leben einzuhauchen sei.

«Our Common Agenda»

In gewohnter Manier hatte die Generalversammlung in der Resolution mit grossen Versprechungen nicht gegeizt: Man werde (1) niemanden zurücklassen, (2) den Planeten schützen, (3) den Frieden fördern und Konflikte verhüten, (4) das Völkerrecht einhalten und für Gerechtigkeit sorgen, (5) Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt stellen, (6) Vertrauen aufbauen, (7) die digitale Zusammenarbeit verbessern, (8) die Vereinten Nationen modernisieren, (9) eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen, (10) Partnerschaften fördern, (11) jungen Menschen zuhören und mit ihnen zusammenarbeiten und (12) vorbereitet sein.

Im vergangenen September nun veröffentlichte Antonio Guterres seine Empfehlungen im Bericht «Our Common Agenda». Darin konkretisierte er die 12 Grundsätze mit einem Bündel von 90 Massnahmen. Seine Vorschläge fussen auf dem breiten digitalen Konsultationsprozess «We the Peoples» bei Mitgliedstaaten, Fachpersonen, jungen Menschen, der Zivilgesellschaft und dem UNO-System mit seinen Partnerorganisationen. Verantwortlich dafür war das Exekutivbüro des Generalsekretärs, unterstützt wurde es von der UN Foundation und dem brasilianischen Igarapé-Institut und ergänzt mit Beiträgen von einem weltweiten zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Netzwerk.

Die im Bericht vorgeschlagenen Massnahmen zielen auf einen inklusiven, effektiven und vernetzten «Multilateralismus mit Biss» ab, wie es Guterres an einer Pressekonferenz formulierte, – als Gegenentwurf zu den aktuellen, national motivierten Bestrebungen vieler UNO-Mitglieder. Viele Massnahmen beziehen sich direkt auf die einzelnen SDGs. Darüber hinaus fordert Antonio Guterres aber vehement ambitionierte Reformen der UN-Organisation selbst, um die Umsetzung der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens zu beschleunigen. Denn «business as usual» sei keine Option: «Unsere Welt steuert auf eine neue Abnormität zu: chaotischer, unsicherer und gefährlicher für alle», warnte Guterres.

Reformvorschläge für die UNO

Einer der vielen Reformvorschläge ist die Einrichtung einer Notfallplattform, die bei Bedarf kurzfristig aktiviert werden kann, um bei einer akuten Krise keine Zeit zu verlieren. Sie soll jene zusammenbringen, die für die Bewältigung beispielsweise von künftigen Wirtschaftskrisen oder Krisen an den Schnittstellen von Sicherheit, Klimawandel oder Gesundheit jeweils unabdingbar sind: Mitgliedstaaten, UNO-Organisationen, internationale Finanzinstitutionen, regionale Akteure, Zivilgesellschaft, Privatsektor und Wissenschaft.

Nicht zuletzt der Umgang mit der Coronapandemie hat deutlich vor Augen geführt, dass die Mitgliedstaaten gut beraten wären, sich auf diesen Vorschlag zu verständigen, denn die Welt wäre für zukünftige Krisen sicher besser gerüstet, wenn das UNO-System im Notfall schnell handlungs- und entscheidungsfähig wäre und der UNO-Generalsekretär die Kompetenz hätte, diese Plattform einzuberufen.

Als weiteres UNO-Reformelement will Antonio Guterres einen hochrangigen Beirat unter der Leitung ehemaliger Staats- und Regierungschefinnen und -chefs einberufen, der Vorschläge dazu erarbeiten soll, wie die internationale Gouvernanz zum Schutz der Globalen Öffentlichen Güter verbessert werden kann. Unterstützung erhält er dabei vom Club de Madrid, dessen Mitglieder schon mal ihre Überlegungen und Vorschläge für die Umsetzung der «gemeinsamen Agenda» eingebracht haben.

Im Wissen darum, dass mangelnde Finanzierungsbereitschaft eine Achillesferse der Agenda 2030 ist, regt Antonio Guterres zudem zweijährliche Gipfeltreffen zwischen der G-20, dem Wirtschafts- und Sozialrat ECOSOC, dem Generalsekretär und den Chefinnen und Chefs der internationalen Finanzinstitutionen an. An diesen Treffen sollen unter anderem Investitionen für die SDGs, die auch die am stärksten benachteiligten Menschen erreichen, auf den Weg gebracht und Schwachstellen in der Schuldenarchitektur beseitigt werden.

Der Vorschlag löste allerdings bei der Civil Society Financing for Development Group umgehend scharfe Kritik aus: Sie lehnt diesen «Multistakeholderismus» ab, der «globale Monopolisten und internationale Finanzakteure in Entscheidungsfindungsstrukturen einbinden will, obwohl sie zu einer Konzentration von Reichtum und Macht beitragen [und] ganze Regionen in Verschuldung und Austerität zwingen (…)». Es brauche keine Aushöhlung des multilateralen Systems, sondern eine Demokratisierung der globalen Wirtschaftspolitik und dringend die Einberufung der vierten Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, um die globalen Herausforderungen in Bereichen wie Verschuldung, Steuern, öffentliche Entwicklungszusammenarbeit, Handel oder Finanzregulierung anzugehen.

Ein Schlüssel für die Zukunft

Zentrales Leitmotiv ist für Antonio Guterres die Solidarität zwischen jetzigen und künftigen Generationen. Sie soll helfen, bestehende Krisen zu überwinden, neue Krisen zu vermeiden und eine gerechtere und zukunftsfähige Welt zu schaffen. Um diese Zukunftsorientierung voranzutreiben, schlägt er für 2023 einen hochrangigen Zukunftsgipfel vor, der die Vorschläge des genannten Beirats diskutieren und weiterentwickeln soll. Dazu ein UNO-Zukunftslabor, eine UNO-Sonderbeauftragte für künftige Generationen sowie die Ausarbeitung einer ««Deklaration für zukünftige Generationen»: Junge Menschen sollen ihre eigene Zukunft am Verhandlungstisch mitgestalten und nicht vor vollendete Tatsachen, die Ältere entschieden haben, gestellt werden. Ein UNO-Jugendbüro soll die verstärkte politische Beteiligung junger Menschen stärken.

Damit rennt Guterres bei der Zivilgesellschaft offene Türen ein. Millionen junger Menschen weltweit engagieren sich für eine nachhaltige Zukunft. So die Next Generation Fellows, eine Gruppe junger Aktivistinnen und Aktivisten, die mit ihrem Bericht «Our Future Agenda» eine Vision und ein Plan für kommende Generationen zeichnet. So Restless Development, in der sich junge Leader für eine gerechte und nachhaltige Welt stark machen. So Girl Up, eine Bewegung junger Frauen zur Förderung der Fähigkeiten und Rechte von Mädchen, eine Führungsrolle zu übernehmen. So die globale Jugend-Klimabewegung. In einer gemeinsamen Erklärung anlässlich der UNO-Generalversammlung im September 2021 verpflichteten sich zahlreiche Organisationen, eine Koalition für alle jungen Menschen und künftigen Generationen aufzubauen: die «Unlock the Future Coalition».

Im Globalen Süden hat «Unsere gemeinsame Agenda» viel Zustimmung ausgelöst. Einige Beispiele: Das Southern Voice Network beteiligte sich mit eigenen Vorschlägen aktiv an der Konsultation. Die südafrikanische NGO ACCORD betont die Wichtigkeit, globale Probleme gemeinsam zu lösen und «freut sich darauf, die gemeinsame Agenda zu unterstützen». Und die nigerianische Entwicklungsexpertin Morenike Babington-Ashaye hält fest, «Our Future Agenda» zu lesen sei «herzerwärmend»; die Welt sei an einem Wendepunkt: «Wir, die Menschen, können eine neue Welt ohne Unterdrückung aufbauen, und die Vereinten Nationen haben die Aufgabe, uns dabei zu helfen, einen Durchbruch zu erzielen oder einen Zusammenbruch zu erleichtern. Das ist die klare und dringende Entscheidung, vor der die Organisation steht.»

Im November begrüssten zahlreiche UNO-Mitgliedstaaten die Agenda und sprachen sich dafür aus, die 90 Empfehlungen als Grundlage für eine weiterführende Diskussion unter den Mitgliedstaaten zu verwenden. Dazu zählten nebst der Schweiz die EU und weitere europäische sowie afrikanische und asiatische Länder. Die Konsultationen zu einzelnen Themen haben im Februar begonnen. Die Ständige Vertretung der Schweiz bei der UNO nimmt regelmässig daran teil. Sie spricht sich dabei für einen wiederbelebten Multilateralismus zugunsten der Agenda 2030 aus und legt ihr Gewicht vor allem auf die Achtung des Völkerrechts, die vorgeschlagene «neue Agenda für den Frieden» und den Einsatz für Gerechtigkeit und die Menschenrechte. Das ist gut so – sofern die Schweiz ihren Worten nun verstärkt Taten zur Erreichung der Ziele der Agenda 2030 und des Klimaabkommens folgen lässt.

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Politsichten, dem entwicklungspolitischen Blog von Helvetas veröffentlicht.

Dominik Gross
Geert van Dok

Politische Kommunikation, Helvetas

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