Rettet die Vier-Tage-Woche unseren Planeten?
Weltweit fordern Initiativen eine Reduktion der Arbeitszeit, um das Klima zu schützen. Weniger Arbeit bei gleichem Lohn reduziert Stress, verbessert Gesundheit und Wohlbefinden. Trägt es auch zur Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele bei?
Spanien startet ein Pilotprojekt, um mit der Vier-Tage-Woche die Gesundheit zu verbessern, die Umwelt zu schützen und die Produktivität zu steigern. Der Klima-Aktionsplan der Klimastreikenden fordert eine Wochenarbeitszeit von 24 Stunden verteilt auf vier Tage.
Die Realität in der Schweiz ist derzeit eine andere: die wöchentliche Normalarbeitszeit liegt bei 42 Stunden. Damit führt die Schweiz zusammen mit Island die europäische Rangliste für die höchsten Arbeitszeiten an. Jährlich werden rund 8 Milliarden Arbeitsstunden geleistet. 85% der erwerbstätigen Männer leisten ein Vollzeitpensum, bei den Frauen sind 60% in Teilzeit angestellt. Frauen übernehmen den grössten Teil der unbezahlten Pflege- und Hausarbeit. In Teilzeit haben sie wesentlich schlechtere Chancen, in Führungspositionen aufzurücken.
Von 10 Erwerbstätigen geben im Job-Stress-Index 2020 drei Erwerbstätige an, nicht über ausreichend Ressourcen zu verfügen, um den Belastungen im Job zu begegnen. Arbeitsbezogener Stress kostet Arbeitgebende rund 7,6 Milliarden Franken pro Jahr.
Bessere Gesundheit und Wohlbefinden
Verschiedene Studien mit Pflegekräften und Sozialarbeitenden zeigen auf, dass eine Reduktion der Tagesarbeitszeit bei gleichem Lohn zu weniger Stress, besserem Schlaf und allgemein zu besserer Gesundheit und Wohlbefinden führt. Die Zahl der Abwesenheiten infolge Krankheiten nehmen ab. In Berufen mit sehr langen und/oder flexiblen Arbeitszeiten kann eine verkürzte Arbeitszeit einen positiven Effekt auf Gesundheit und Wohlbefinden haben. Ausschlaggebend ist, ob die Arbeitszeiten und Dauer selbst bestimmt werden können. Weniger Arbeit trägt dann zu besserer Work-Life-Balance bei, wenn sie den Ansprüchen nach Selbstbestimmung und Flexibilität der Mitarbeitenden nachkommt, und nicht eine einseitige Flexibilisierung auf Seiten der Arbeitgebenden ermöglicht.
Kürzere Arbeitszeiten führen zu weniger Treibhausgasausstoss
Bereits 2006 zeigte eine erste Studie, dass längere Arbeitszeiten im Durchschnitt zu höheren Emissionen führen. Eine Reduktion der Arbeitszeit um 10% würde demnach unseren CO2-Fussabdruck um 14,6% reduzieren. Dieser Effekt lässt sich mit verschiedenen Faktoren erklären: So verkürzen sich die Pendelzeiten, die Effizienz in der Produktion wird gesteigert, und der konsumbasierte Fussabdruck sinkt. Menschen haben mehr Zeit, um selber zu kochen, Wege zu Fuss oder per Velo zurückzulegen oder Konsumgüter zu reparieren. Wenn die Arbeitszeitreduktion mit höherem Wohlbefinden einhergeht entfallen auch «Kompensationskäufe», um durch Konsum kurzfristige Befriedigung zu erhalten.
Allerdings hängt der Klimaeffekt einer Arbeitszeitreduktion stark von den Aktivitäten ab, die wir in der neu gewonnenen Zeit ausüben. Erfahrungen aus Frankreich stimmen hier optimistisch: Das Land führte zur Jahrtausendwende die 35-Stunden Woche ein. In den folgenden Jahren zeigte sich, dass die Menschen die neu gewonnene Zeit in ressourcenschonende Aktivitäten investierten: Familie, Entspannung, Sport und ehrenamtliche Tätigkeiten führten die Liste an. Energieintensive Aktivitäten wie Reisen oder Konsum folgten erst auf den hinteren Plätzen. Von uns als angenehm empfundene Aktivitäten sind also oft nicht energieintensiv. Wenn wir die gesparte Arbeitszeit in Musik, Kultur oder Sport investieren, Beziehungen oder unseren Garten pflegen, der Spiritualität mehr Raum geben, steigern wir unser Wohlbefinden und leisten einen Beitrag für Umwelt und Klima – vorausgesetzt, die Anfahrt lässt sich klimaschonend organisieren.
Mehr Arbeit für alle?
Eine verkürzte Arbeitszeit kann auch dazu beitragen, die Arbeit gerechter zwischen burnout-gefährdeten Vollzeitarbeitenden und Unterbeschäftigten oder Arbeitslosen aufzuteilen.
Doch wer soll die Kosten der Arbeitszeitreduktion bezahlen? Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit darf die Arbeitszeitreduktion für die tiefen Einkommen nicht mit einer Lohneinbusse einhergehen. Bei den hohen Einkommen hingegen kann eine Einbusse einen zusätzlichen Klimaeffekt fördern. Ab einer gewissen Einkommensschwelle trägt ein zusätzliches Einkommen nicht weiter zur Steigerung des Wohlbefindens und der Lebensqualität bei, erhöht aber den Treibhausgasfussabdruck.
Arbeitszeitreduktion als triple win?
Allein mit einer Arbeitszeitverkürzung lässt sich unser Planet nicht retten. Zwar bietet sie wichtige Hebel, um sowohl im Sozialen (Gesundheit, Wohlbefinden), Klima und Umwelt (vorausgesetzt, die neugewonnene Freizeit wird ressourcenschonend genutzt) und in der Wirtschaft (gerechtere Verteilung der Arbeit) einen positiven Effekt zu generieren. Weitere Massnahmen sind jedoch gefragt: so werden wir nicht um eine Verschiebung der Arbeitsplätze in nachhaltige Bereiche umhinkommen. Arbeitsplätze mit hohem ökologischem Fussabdruck müssen abgebaut werden. Dafür brauchen wir zusätzliche Jobs in arbeitsintensiven und ressourcenschonenden Bereichen, der Pflege, in der Bildung, Kultur oder der biologischen Landwirtschaft.
Weniger Arbeiten für nachhaltigere Entwicklung?
Damit eine Arbeitszeitreduktion zur Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 beiträgt, muss sie einen positiven Effekt auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene aufweisen. Die Agenda 2015 für nachhaltige Entwicklung wurde 2015 von allen Staaten der Welt verabschiedet. Die Länder haben sich damit auf eine Zukunftsvision einer Welt in Frieden geeinigt, in der niemand Hunger leiden muss, die Ökosysteme an Land und im Wasser geschützt sind und Konsum und Produktion die planetaren Grenzen nicht überschreiten. Sie setzt insgesamt 17 Ziele, die Sustainable Development Goals (SDGs), um diese Zukunftsvision zu verwirklichen.
Im Zusammenhang mit Arbeit nimmt die Agenda 2030 die «Decent Work Agenda» der internationalen Arbeitsorganisation ILO auf. SDG 8 setzt das Ziel einer produktiven Vollbeschäftigung und menschenwürdiger Arbeit für alle. SDG 3 will ein gesundes Leben für alle Menschen gewährleisten. Unbezahlte Pflege- und Hausarbeit soll gerechter zwischen den Geschlechtern verteilt werden, die volle und wirksame Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen sichergestellt werden (SDG 5). Ausserdem soll Armut beendet (SDG 1), Ungleichheit reduziert (SDG 10), Biodiversität geschützt (SDG 14 und 15) und die Pariser Klimaziele erreicht werden (SDG 13).
Bildnachweis: Rush hour at Shinjuku. Wikipedia and Wikimedia Commons, by Chris 73, cc-by-sa 3.0.
Eva Schmassmann
Plattform Agenda 2030
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Dieser Beitrag erschien im syndicom magazin Nr. 22 – Weniger arbeiten, mehr leben!