Nachhaltige Ernährungssysteme sind krisenresistenter
Interview mit Daniel Langmeier, Politik Schweiz
Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.
Ein Handlungsfeld von Biovision sind Projekte mit Kleinbauernfamilien in Ostafrika. Wie trifft die Corona-Pandemie die Gebiete, in denen die Organisation aktiv ist?
Die Kleinbauernfamilien in Ostafrika sind, seit Mitte März die Regenzeit begonnen hat, mit der Bestellung der Felder beschäftigt. Im ländlichen Bereich funktioniert das einigermassen, in peri-urbanen Gebieten wird die Situation durch Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und durch die temporäre Schliessung von Märkten erschwert. Die Ausgangssperren sind besonders bedrohlich für viele Menschen in unseren Partnerländern; dies verschärft die bestehende Armut und kann dazu führen, dass Kranke keine Hilfe suchen. Es gibt Schätzungen, dass es bis zu 100’000 zusätzliche Malariatote geben wird wegen der Corona-Krise. In diesem Zusammenhang ist es für mich auch nicht verständlich, warum gerade jetzt einzelne Stimmen in der Schweiz laut werden, die bei der Entwicklungszusammenarbeit sparen wollen. Gerade jetzt braucht es neben nationaler auch internationale Solidarität.
Ernährung ist eine internationale Angelegenheit. Die Corona-Pandemie wird oft auch als Krise der Globalisierung wahrgenommen. In der Schweiz liegt die Versuchung nahe, sich eine Zukunft in der Selbstversorgung vorzustellen. Was ist davon zu halten?
Einige Akteure in der Schweizer Landwirtschaft versuchen nun die nationale Selbstversorgung als Lösung darzubieten. Aus meiner Sicht hält dies jedoch keiner gründlichen Analyse stand. Die Corona-Krise ist ein Weckruf, dass die heutige Form Landwirtschaft zu betreiben ein Auslaufmodel ist – ein Fokus alleine auf die Produktion von Kalorien ist verkürzt. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die gesunde Lebensmittel produziert und dabei die Umwelt schützt. Intakte Ökosysteme sind nicht einfach ein schönes Extra, sondern die Grundlage für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Wir brauchen eine Standort-angepasste Landwirtschaft, wozu auch lokale Versorgungsstrukturen gehören, aber eingebettet in faire internationale Handelsbeziehungen. Der Fokus auf die Selbstversorgung klammert meistens die hohe Menge von Futtermittelimporten aus oder die Abhängigkeit des jetzigen Systems von importierten Dünger und Pestiziden. Biovision setzt sich zurzeit zusammen mit der Agrarallianz dafür ein, dass mit der geplanten neuen Agrarpolitik (AP22+) der Kurswechsels zu nachhaltigen Ernährungssystemen eingeleitet wird.
Die Plattform Agenda 2030 setzt sich für die Umsetzung der SDGs ein – warum spielt die Landwirtschaft hier gerade eine wichtige Rolle?
Die Landwirtschaft, oder besser, die Transformation hin zu einem agrarökologischen Ernährungssystem spielt eine zentrale Rolle für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Im Globalen Süden tragen kleinbäuerliche Strukturen viel zur Ernährungssicherheit bei und mittels agrarökologischen Praktiken können sie auf nachhaltige Weise mehr produzieren und gleichzeitig widerstandsfähiger sein gegenüber schwierigen Bedingungen, wie vermehrter Trockenheit durch die Klimakrise. Auch wir hier in der Schweiz müssen Antworten darauf finden; die Landwirtschaft alleine trägt circa 15% zu unseren Treibhausgasemissionen bei. Dabei sind nicht die Bäuerinnen und Bauern alleine in der Verantwortung, sondern es braucht eine systemische Antwort – nachhaltige Produktion muss mit nachhaltigem Konsum einhergehen, wie dies auch das SDG 12 fordert. Biovision hat die Bewegung Landwirtschaft mit Zukunft dabei unterstützt, eine Vision zu erarbeiten, wie ein nachhaltiges Ernährungssystem aussehen könnte. Diesen Weg müssen wir nun, gemeinsam, einschlagen, damit die SDGs Realität werden.
Das Interview wurde von Mario Huber geführt.
Daniel Langmeier
Politik Schweiz, Biovision