Das Virus könnte Gesundheitssysteme ganz zerstören

20. Apr 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Martin Leschhorn Strebel, Medicus Mundi Schweiz

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.


Wie trifft die Corona-Pandemie die Entwicklungs- und Schwellenländer?

Die Bevölkerungen in diesen Ländern sind vielfältig betroffen: COVID-19 stellt nicht nur für sich allein ein Problem dar, sondern erschwert in den Gesundheitszentren die Behandlung anderer Krankheiten wie etwa Malaria und Tuberkulose. Das Virus kommt vielerorts zur eigentlich schon bestehenden Gesundheitskrise dazu und droht bereits fragile Gesundheitssysteme ganz zu zerstören. Gesellschaftlicher Lockdown hat schwerwiegende Folgen in Kontexten, in welchen der soziale Zusammenhalt eine überlebenswichtige Rolle spielt. Noch schwerwiegender werden aber die wirtschaftlichen Folgen der nun einsetzenden globalen Rezession sein: Die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Bevölkerungen im globalem Süden mit schwachen sozialen Sicherungssystemen werden äusserst brutal sein.

Medicus Mundi Schweiz ist ein Zugsamenschluss von Organisationen, die in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit tätig sind. Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf ihre Arbeit aus?

Unsere Mitgliedsorganisationen sind mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert: Es ist schwierig, das Gesundheitspersonal in den Programmen zu halten, und die Lieferketten mit medizinischen Gütern sind teilweise unterbrochen. Der Lockdown führt zur Einstellung von wichtigen Gesundheitsprogrammen – etwa in der Sensibilisierungsarbeit für sexuelle und reproduktive Gesundheit mit Jugendlichen. Die Sorge ist gross, dass es gerade die verletzlichsten Gruppen sein werden, die am meisten unter den Folgen leiden werden. Dabei wird deutlich, dass COVID-19 nicht nur ein Gesundheitsthema ist, sondern gesamtgesellschaftliche Krisen heraufbeschwört. Gefährdet sind Menschenrechte und Geschlechtergleichstellung, die Bekämpfung von Armut und die Bildung. Es zeigt sich einmal mehr, dass Gesundheit nur im systemischen Kontext erfasst und gestärkt werden kann.

Die systemische Logik zeigt sich in der Krise tatsächlich besonders klar. Was kann man darüber hinaus über die Ziele für nachhaltige Entwicklung sagen?

Interessant ist ja, dass sich diese systemischen Zusammenhänge auch bei uns zeigen: Auch unser Gesundheitssystem ist durch COVID-19 herausgefordert. Auch wir sehen, dass Arbeitnehmer*innenrechte – etwa für das Gesundheitspersonal – uns alle existentiell betreffen. Das Virus lässt sich auch bei uns nicht nur medizinisch bekämpfen, alle gesellschaftlichen Bereiche müssen mobilisiert werden. In der Bekämpfung der Pandemie stellen sich deshalb auch bei uns Gouvernanzfragen, Menschenrechtsfragen und die Inklusion von Minderheiten und von gesellschaftlich an den Rand gedrängten Personen. Ein grosser Teil der Bevölkerung lernt gerade hautnah, weshalb inter-sektorielles Denken und Handeln so wichtig ist. Er lernt, wie die Nachhaltigkeitsziele funktionieren und weshalb es die Agenda 2030 braucht.

Das Interview wurde von Mario Huber geführt.

Weitere Informationen finden Sie auf der Seite von Medicus Mundi Schweiz: www.medicusmundi.ch/de/schwerpunkte/coronavirus

Martin Leschhorn Strebel

Geschäftsführer Medicus Mundi Schweiz

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