In Krisensituationen zahlt sich Vertrauen zwischen Bürger*innen und Staat aus
Interview mit Una Hombrecher, HEKS
Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.
Um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern und die Pandemie in den Griff zu bekommen, haben fast alle Länder Freiheitsrechte eingeschränkt. Wie hast Du diese Einschränkung empfunden als Person, die sich beruflich für die Öffnung von Freiräumen für Zivilgesellschaft einsetzt?
Es war ein merkwürdiges Gefühl, selbst von solchen Einschränkungen betroffen zu sein, mich nicht mehr frei bewegen, beispielsweise die Landesgrenze nicht mehr überqueren zu können. Angesichts der Gefahren für die öffentliche Gesundheit habe ich die Massnahmen aber für verhältnismässig empfunden.
Beeindruckend war auch zu sehen, wie hoch das Vertrauen in der Schweiz und in Deutschland in die Behörden war. Während China autoritär den Lockdown verordnete, hat hier die innere Einsicht eines Grossteiles der Bevölkerung die entscheidende Rolle gespielt. In Krisensituationen zahlt sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Bürger*innen und Staat besonders aus: Angeordnete Massnahmen werden befolgt und müssen nicht – allenfalls mit Gewalt – durchgesetzt werden.
Um die Akzeptanz von einschränkenden Massnahmen zu erhöhen, gilt es ausserdem grundlegende Menschenrechtsprinzipen zu beachten: Verhältnismässigkeit, transparent informieren, weshalb diese Eingriffe notwendig sind. Und, sie zeitlich begrenzen. Damit klar ist, dass aus der Ausnahme nicht die neue Regel wird. Genau dieses Risiko sehe ich aber in verschiedenen Ländern: Einige Regierungen nutzen die Krise, um unerwünschte Kritik besonders einzugrenzen und es gibt Zweifel, ob und wann sie die Einschränkungen wieder aufheben. Bereits jetzt sehen wir Indizien, dass die Einschränkungen nicht nur zum Zweck der Pandemieprävention ergriffen wurden, sondern politische Ziele verfolgten.
Hast Du ein Beispiel?
Besonders offensichtlich fand ich einen Bericht aus Kirgistan. Hier gab es Demonstrationen für die Freilassung eines Oppositionspolitikers. Doch dann wurde eine Demonstration zum internationalen Tag der Frau unter anderem wegen der Coronagefahr verboten – obwohl es noch keine bestätigten Fälle von Covid-19 Infektionen gab. Gleichzeitig aber wurde einer grossen Gruppe von Männern erlaubt, sich in einer traditionellen Zeremonie zur Abwehr des Coronavirus zu versammeln.
In Zimbabwe werden Oppositionelle, Journalistinnen und Menschenrechtsverteidiger seit einigen Wochen verstärkt schikaniert und kriminalisiert. Die Entführung, Folter und anschliessende strafrechtliche Verfolgung von drei weiblichen Oppositionellen ist die jüngste einer wachsenden Zahl von Menschenrechtsverletzungen und eines zunehmend politisierten Verhaltens der Sicherheitskräfte und Justiz.
Für definitive Aussagen zu den längerfristigen Auswirkungen ist es aber noch zu früh. Zivilgesellschaftliche Akteure in allen Ländern sind jetzt dabei, Strategien zu entwickeln, um die Freiräume wieder zu öffnen und die Einschränkungen rückgängig zu machen. Neue Netzwerke und Formen von virtuellem Engagement haben sich mit der Krise plötzlich rasant entwickelt.
Kann die Digitalisierung hier neue Aktionsformen ermöglichen?
Die Digitalisierung bietet sicher Chancen. Allerdings gilt es, diese gut gegen das Risiko der Überwachung abzuwägen. In den vergangenen Monaten konnten wir so den Austausch mit Partnern und Netzwerken halten. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein virtuelles Treffen mit Partnern aus Israel und Palästina. Diese Netzwerktreffen finden normalerweise regelmässig in der Region statt. Doch unsere Partner aus dem Gaza-Streifen erhielten nie eine Reisegenehmigung, so dass sie via Skype zugeschaltet wurden. Dieses Jahr fand das Treffen für alle virtuell statt. Zum ersten Mal waren die Teilnehmenden aus dem Gaza-Streifen gleichberechtigt dabei.
Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.
Bildnachweis: ippnw Deutschland, Bethlehem, CC BY-NC-SA
Una Hombrecher
Beauftragte Frieden und Menschenrechte, HEKS