Falsche Antworten auf die falschen Gefahren
Heftige Reaktionen auf den brutalen Überfall auf die Ukraine sind verständlich. Er ist eine Katastrophe für die Bevölkerung des Landes, die Wohlstand, Frieden und in ihrer Mehrheit Demokratie gewünscht hat. Was es bedeutet, dass zwischenstaatliche Kriege in Europa zurückgekehrt sind, lässt sich noch gar nicht abschätzen.
Nur, Putins Russland hat die Ukraine nicht angegriffen, weil Westeuropa militärisch unterlegen ist. Im Gegenteil, die NATO-Staaten besitzen bei konventionellen Waffen − von ganz wenigen Waffengattungen abgesehen − überall ein teilweise massives Übergewicht. Auch wenn es Zweifel an der raschen Einsatzfähigkeit beim Angriff auf einen NATO-Staat gibt, so liegt das sicher nicht an fehlenden Waffen. Russland hatte 2020 Rüstungsausgaben von 61,7 Milliarden Dollar. Die vier grössten europäischen Nato-Staaten gaben zusammen drei Mal mehr Geld für die Rüstung aus. Mit der angekündigten Erhöhung der Militärausgaben auf 2 Prozent des BIP überholt Deutschland alleine Russland deutlich.
Vladimir Putin will sich nicht EU- oder NATO-Staaten einverleiben, noch nicht einmal die Sowjetunion wiederherstellen; die zentralasiatischen Staaten etwa sind ihm egal, so lange sie autokratisch regiert werden. Es geht ihm um ein imaginiertes historisches Russland, das er wiedervereinigen will. Natürlich ist ein isolierter Autokrat brandgefährlich, aber in diesem Fall sicher nicht, weil er überlegene Gegner konventionell angreifen will, sondern weil er die Finger am Abzug von Atomraketen hat. Keine der realen Gefahren für Europas Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Unversehrtheit lässt sich durch höhere Rüstungsausgaben wettmachen.
Klimaneutralität ist auch Sicherheitspolitik
Aus verständlichen Gründen ist die Veröffentlichung des diesjährigen Klimaberichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zu «Auswirkungen, Anpassungen und Verletzlichkeit» am Montag 28. Februar medial untergegangen. Dessen politisch ausgehandelte Zusammenfassung erwähnt, dass bereits 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen «in einem Umfeld leben, das sehr anfällig für den Klimawandel ist». Und er hält fest: «Bei einer stärkeren Erderwärmung werden die Auswirkungen von Wetter- und Klimaextremen, insbesondere von Dürren, durch die steigende Anfälligkeit zunehmend gewaltsame innerstaatliche Konflikte beeinflussen». Und auch ohne Klimakriege werden mehr Menschen krank und sterben vorzeitig: «Der Klimawandel und die damit verbundenen Extremereignisse werden kurz- bis langfristig zu einer erheblichen Zunahme von Krankheiten und vorzeitigen Todesfällen führen.»
Die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel sind grösser, als noch im letzten IPCC-Bericht vermutet. Das IPCC schätzt, dass es 2030 jährlich 127 Milliarden Dollar braucht, danach mehr. Die von den Industrieländern versprochenen jährlich 100 Milliarden Klimafinanzierung für Vermeidung und Anpassung bis 2025 reichen sicher nicht, ganz abgesehen davon, dass diese Summe bisher gar nie erreicht wurde. Gemessen am globalen Klimafussabdruck der Schweiz müsste sie 1 Milliarde zu diesem Ziel beitragen; derzeit stellt sie nur die Hälfte zur Verfügung und dieses Geld kommt erst noch zu einem grossen Teil aus dem Entwicklungshilfebudget.
Jawohl FDP und SVP, es braucht das gezückte Portemonnaie, aber für eine Klimafinanzierung, die der Verantwortung der Schweiz entspricht und ihre Klimaneutralität sicherstellt. Für die Sicherheit der Schweiz sind keine Ausgaben nötiger als diejenigen in einen sofortigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Gaskraftwerke für den Notfall, deren Pläne ausgerechnet ein paar Tage vor Kriegsausbruch präsentiert wurden, sehen seitdem aus wie ein schlechter Witz.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Alliance Sud.
Andreas Missbach
Alliance Sud
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Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Webseite von Alliance Sud.