Übersetzung in Gebärdensprache ist bei lebenswichtigen Informationen essenziell

18. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Annika De Maeyer, Verantwortliche Public Affairs, Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS.

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

Wie ist der kommunikative Alltag für gehörlose Menschen?

In der Schweiz wohnen rund 1 Million Menschen mit einer Hörbehinderung, insgesamt 10’000 benutzen die drei Schweizer Gebärdensprachen (Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), Französische Gebärdensprache (LSF) und Italienische Gebärdensprache (LIS)) als ihre Muttersprache. Da aber meist die Umgebung keine Gebärdensprache kann, stehen gehörlose Menschen im Alltag schnell vor einer kommunikativen Barriere. Dies manifestiert sich im Arbeitsleben genauso wie bei Interaktionen mit der Verwaltung oder auch beim Einkaufen.
In den Zielen zur nachhaltigen Entwicklung ist das Thema Behinderung in mehreren Zielen berücksichtigt. Dies ist auch für gehörlose Menschen von Relevanz, beispielsweise beim Ziel 8 zur Arbeit: gleichberechtigter Zugang zur Arbeit. Gehörlose können – wie hörende auch – eine Vielfalt an Berufen ausüben. Für einen gleichberechtigen Zugang muss allerdings die Kommunikation in Gebärdensprache sichergestellt werden. Dies kann beispielsweise mittels eines professionellen Gebärdensprachdolmetschers erreicht werden.

Welche Herausforderungen kommen während der Corona-Krise zum Vorschein?

In der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass der vollständige Zugang zur Gebärdensprache in der Schweiz noch nicht Realität ist. Die Pressekonferenzen des Bundesrates und der zuständigen Bundesämter wurden nicht von Anfang an in alle drei Gebärdensprachen übersetzt. Informationen auf der Webseite des BAGs zu den Massnahmen wurden aufgrund des hohen Aufwandes ebenso mit Verspätung übersetzt. Da die Schriftsprache für Gehörlose eine Fremdsprache ist, ist die Übersetzung in Gebärdensprache essentiell, besonders bei lebenswichtigen Informationen.
Gleichzeitig stellt die Krise auch die Arbeitnehmer vor eine grosse Herausforderung. In den letzten Wochen haben wir alle von «Zoom Fatigue» gehört. Gehörlose klagen über diese Müdigkeit bei andauernder digitaler Kommunikation bereits seit Jahren. Es ist besonders anstrengend – auch für die Gebärdensprachdolmetscher – sich über Stunden ein kleines wackelndes Video anzusehen, welches versucht, eine Sprache, die eigentlich im dreidimensionalen Raum arbeitet, zweidimensional abzubilden.

Was ist beim Zugang zum Gesundheitswesen für Menschen mit Hörbehinderung zu berücksichtigen?

SDG 3 stipuliert den Zugang zur Gesundheit für alle; dies muss auch Gehörlose umfassen. Allerdings ist im Gesundheitsbereich die Situation oft noch prekärer als in anderen Bereichen. Ärzte und Spitäler wissen meist nicht, dass gehörlose Patienten das Recht auf einen professionellen Gebärdensprachdolmetscher haben. Da aber eine medizinische Behandlung Hand in Hand mit Unsicherheit auf Seiten der Patienten gehen kann, haben viele Gehörlose nicht das Selbstbewusstsein, auf einen Dolmetscher zu bestehen.
Das Tragen von Masken ist für Gehörlose eine Herausforderung, denn Mimik ist ein wichtiger Teil jeder Gebärdensprache. Aber trotzdem können Stift und Papier, die Körperhaltung und Zeichen die Kommunikation unterstützen. Digitale Lösungen wie Videodolmetschen sind meist nicht das bevorzugte Medium, aufgrund der oft suboptimalen Qualität des Videostreams. Am Ende muss sichergestellt werden, dass auch gehörlose Patienten ihre informierte Einwilligung geben können – das ist ihr unveräusserliches Recht.

Das Interview wurde von Mario Huber geführt.

Weitere Informationen auf der Webseite des schweizerischer Gehörlosenbunds SGB-FSS: www.sgb-fss.ch/news/erfolgreiche-einsatz-fuer-zugaengliche-infos/

Annika De Maeyer
Annika De Maeyer

Verantwortliche Public Affairs, Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS

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