Der Lockdown ist eine Zäsur für die Gesellschaft
Interview mit Gaby Belz, Vorstandsmitglied Gemeinwohl-Ökonomie Schweiz sowie international
Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.
Die Gemeinwohl-Ökonomie bezeichnet sich als zivilgesellschaftliche Bewegung. Kannst Du uns zuerst erzählen, wie ihr organisiert seid?
Wir sind zum einen eine Bewegung, mit weltweit aktiven Regionalgruppen, die sich einmal jährlich an der Delegiertenversammlung treffen und wichtige Entscheide treffen. Parallel führt der internationale Verband mit professioneller Geschäftsstelle und dem Vorstand mit Vertreter*innen aus allen Mitgliedsländern die eher management-lastigen Aufgaben. Es ist also sowohl ein bottom-up wie ein top-down-Verständnis, mit beschränkten bezahlten Stellenprozenten und viel Freiwilligenarbeit, was die Gestaltung und Verteilung von Aufgaben und Entscheidkompetenzen nicht ganz einfach, aber sehr spannend macht. Die GWÖ wurde 2010 in Wien gegründet, ausgehend von Aktiven bei ATTAC nach der Bankenkrise, und ist heute vertreten in Europa, den beiden Amerikas und in Afrika. Um die 500 Unternehmen weltweit sind GWÖ-zertifiziert, bei den Kommunen sind es weniger, dafür einige grössere wie z.B. Stuttgart (einzelne Stadtwerke und Abteilungen).
Von dem Lockdown in der Schweiz am 16. März sind auch Vereine wie eurer betroffen. Wie hat sich eure Zusammenarbeit seither verändert?
Wie bei allen sind auch bei uns zahlreiche Treffen ausgefallen. Darunter auch Treffen im europäischen Netzwerk, in Malmö oder München. Einige der Treffen konnten wir virtuell abhalten. Gut funktioniert hat das in den Fällen, wo sich die Teilnehmenden bereits kannten und eine gemeinsame Vertrauensbasis vorhanden war. Bei den Regionalgruppen sind die Auswirkungen unterschiedlich. Je nachdem, wie viel Erfahrungen und Offenheit gegenüber den digitalen Instrumenten vorhanden war, konnten neue Lösungen gefunden werden. Dieses Kennenlernen von digitalen Möglichkeiten wird sicher auch unsere Zusammenarbeit auf allen Ebenen in Zukunft verstärken.
Vom Lockdown ebenfalls betroffen war unsere Woche des Plastikfastens. Hier mussten verschiedene Veranstaltungen abgesagt werden. Die Diskussionen online führen zu wollen war grad zu Beginn der Coronakrise illusorisch: Gesellschaft und Medien legten den Fokus – verständlicherweise – sehr einseitig auf die Coronakrise.
Die Gemeinwohl-Ökonomie fordert bereits seit längerem einen Umbau der Wirtschaft. Diese soll zum Gemeinwohl beitragen. Wächst dank der Coronakrise das Bewusstsein, dass weiter wie bisher nicht mehr möglich ist?
Der Lockdown und die drastischen Massnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen sind eine Zäsur für uns alle und für die Gesellschaft. Es kommt Bewegung auch in andere Themen. So wird öffentlich gestritten, ob die Rettung der Airlines mit ökologischen Zielen verknüpft werden kann. Soziale Ziele haben es leider aber immer noch schwer. Dabei beinhaltet richtige Nachhaltigkeit ja genau die Verknüpfung der ökologischen und sozialen Anliegen. Wir müssen Lösungen finden, die allen Menschen bei uns und im globalen Süden eine Perspektive bieten. Diese Diskussionen zu führen macht bis heute mehr Angst als Anpassungen bei ökologischen Aspekten.
Optimistisch stimmt mich, dass unsere Bewegung in den letzten Wochen deutlich mehr Neuanmeldungen von Mitgliedern erhalten hat. Das Bewusstsein, dass wir etwas ändern müssen und das Interesse, gemeinsam zu diskutieren und zu handeln, wächst langsam.
Weiterführende Informationen auf der Seite der Gemeinwohl Ökonomie Schweiz
Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.
Gaby Belz
Vorstandsmitglied Gemeinwohl-Ökonomie Schweiz sowie international