Arbeitsmigrant*innen – vergessene Opfer der Corona Pandemie

26. Mai 2020 | Gastbeitrag

Interview mit Geert van Dok, Politische Kommunikation, Helvetas

Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf nachhaltige Entwicklung? Die Plattform Agenda 2030 führt eine Reihe von Interviews mit Expertinnen und Experten aus unseren Mitgliederorganisationen.

 

Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO arbeiten rund 150 Millionen Menschen ausserhalb ihres Herkunftslandes. Grenzschliessungen und Lockdown treffen diese Arbeitsmigrant*innen besonders hart. Welche Probleme stellen sich ihnen?

Arbeitsmigrant*innen sind oft in informellen, gering qualifizierten und prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig, etwa in der Landwirtschaft, im Bauwesen und in der Hausarbeit. Viele werden ohne rechtlichen Schutz ausgebeutet, geraten in die Fänge skrupelloser Vermittlungsagenturen, werden als Hausangestellte ausgenützt, sind Opfer von Missbrauch, Menschenhandel und Prostitution. Der Lockdown hat ihre Situation weiter verschlimmert: Sie verlieren als erste ihre Arbeit und können ihre Familien zuhause nicht mehr unterstützen. Wenn sie doch noch arbeiten können, dann meist ohne Schutzausrüstung oder Sicherheitsmassnahmen. Sie haben meist kaum eine andere Wahl, als in überfüllten Unterkünften zu leben, die das Einhalten von Hygiene- und Abstandsregeln verunmöglichen. Wer die Arbeit verloren hat, kann oftmals den Arbeitsort wegen geschlossener Grenzen gar nicht verlassen. Und falls doch, erwartet sie als vermeintliche Virusträger oft Misstrauen und Feindseligkeit.

Welchen Beitrag kann Helvetas in dieser Situation leisten?

Damit Arbeitsmigrant*innen künftig wieder ihren Beitrag zu einer positiven Entwicklung ihrer Familie und ihres Landes leisten können, brauchen sie dringend Unterstützung. Deshalb hilft Helvetas zum Beispiel, Quarantänestationen für zurückgekehrte Arbeitsmigrant*innen einzurichten und besonders gefährdete Personen mit dringenden Lebensmitteln und Geldüberweisungen via Mobiltelefon zu versorgen. In Bangladesch begleitet Helvetas die Familien von Wanderarbeitern fachlich und psychosozial. In Nepal unterstützt sie im Rahmen eines DEZA-Projekts die Arbeitsmigrant*innen mit aktuellen Informationen und ermöglicht es den Daheimgebliebenen, psychologische Hilfe anzufordern. In Myanmar werden rückkehrende Arbeitsmigrant*innen aus Thailand mit Desinfektionsmaterial, Gesichtsmasken und Trinkwasserfiltern versorgt, während sie in speziellen Zentren unter Quarantäne stehen. Gleichzeitig erhalten ihre Familien vorübergehend Bargeld, um Nahrungsmittel zu kaufen.

Die Agenda 2030 will eine geordnete und sichere Migration (SDG 10.7) und menschenwürdige Arbeit für alle (SDG 8). Was braucht es, um diese Ziele zu erreichen?

Die Arbeitsmigration ist eine tragende Säule der globalisierten Wirtschaft und Gesellschaft. Viele Volkswirtschaften sind auf die Arbeitsleistung von Migrant*innen angewiesen. Diese Relevanz spiegelt sich aber keineswegs in deren Arbeitssituation, wie die Corona-Pandemie wieder einmal deutlich macht. Seit Jahrzehnten fordert die ILO die Durchsetzung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen. Dazu gehören insbesondere eine vertragliche Regelung des Arbeitsverhältnisses mit gesicherter Aufenthaltsregelung, ein angemessenes Einkommen, Sicherheit am Arbeitsplatz und der soziale Schutz für Familien. Mit ihrer Fair Migration Agenda will die ILO erreichen, dass die Grundrechte der Arbeitsmigrant*innen respektiert und der Wohlstand, zu dessen Schaffung sie beitragen, fair verteilt werden. Es braucht eine Politik, die den Interessen der Herkunfts- und Zielländer, der Migrant*innen und der Arbeitgeber gleichermassen gerecht wird. Darauf zielt auch der UN-Migrationspakt, den die Schweiz als eines der wenigen Länder bis heute nicht unterzeichnet hat. Die Folgen der Corona-Krise zeigen die Dringlichkeit, diese internationalen Bestrebungen voranzubringen.

Das Interview wurde von Eva Schmassmann geführt.

 

Weitere Informationen auf der Webseite von Helvetas unter «Polit-Sichten» und «Corona»:

www.helvetas.org/de/schweiz/was-sie-tun-koennen/dran-bleiben/polit-sichten-entwicklungspolitik

www.helvetas.org/de/schweiz/was-wir-tun/unsere-themen/corona

Dominik Gross
Geert van Dok

Politische Kommunikation, Helvetas

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