Häkeln für Korallenriffe

3. Mai 2024 | Aktualität, Ressourcen

Eva Schmassmann interviewt Gaby Belz

Eva: Gaby, du kommst gerade zurück aus Linz. Was hat Dich nach Österreich geführt?

Gaby: Ich wollte unbedingt die Ausstellung «Crochet Coral Reef» im Schlossmuseum besuchen. Die Korallen wachsen entsprechend mathematischer Gesetze der sogenannten hyperbolischen Geometrie: eine stetige Wiederholung ihrer Form. Mit Häkeln können Menschen diese Formen nachahmen und künstlerisch künstliche Korallenriffe entstehen lassen.

Was hat dich an dieser Ausstellung besonders beeindruckt?

Die Ausstellung bringt viele mir wichtige Themen zusammen: Korallenriffe sind besonders von der Klimaerwärmung bedroht. Die Ausstellung zeigt uns die Schönheit dieser bedrohten Ökosysteme (übrigens gelten Korallen als Tiere) vermittelt durch die alte Kulturtechnik des Häkelns, die als weiblich verstanden wird. Das gehäkelte Korallenriff ist das Resultat eines kollektiven Engagements, tausende Menschen aus der ganzen Welt haben beigetragen.

Häkeln tun wir normalerweise für andere, es ist ein Symbol für «Care», also Sorge für andere, für Mitmenschen und unseren Planeten. Damit wird auch etwas Traditionelles, Alltägliches als Kunst anerkannt und im Museum ausgestellt.

Du bist in verschiedenen Vereinen aktiv: Bei Wirtschaft ist Care setzt du dich für eine care-zentrierte Wirtschaft ein. Bei der Gemeinwohl-Ökonomie für eine Wirtschaft, die das Wohl von Mensch und Mitwelt ins Zentrum stellt. Du unterstützt die Klimaseniorinnen und bist auch in der Plattform Agenda 2030 aktiv.

Es gibt nicht eine einfache Lösung für die Herausforderungen unserer Zeit. Wir müssen wieder lernen, in Zusammenhängen zu denken und nachhaltige Entwicklung als Prozess zu verstehen. Klima, Gleichstellung und Wirtschaft sind miteinander verhängt. Ich versuche, im Alltag und in meinem Engagement Zusammenhänge selber zu erfahren und für die Wahrnehmung anderen zu zeigen.

Unser Wirtschaftssystem blendet viele Informationen aus: wenn ich im Supermarkt einen Apfel kaufe erkenne ich nicht sofort, woher er kommt, wie er angebaut und gelagert wurde, wie es dem Boden geht und wie die Arbeitsbedingungen der Pflücker:innen sind. Diese Informationen sind aber wichtig, um die Zusammenhänge zu verstehen.

Einkaufen wird nicht als politisch verstanden, sondern ein reiner Konsum-Akt?

Genau. Einkaufen wird weder als politischer Akt, noch als eigentlicher wirtschaftlicher Akt wahrgenommen.

Wie können wir Konsum wieder als politische Handlung, also als wirtschaftlich-gestalterischen Akt, ins Bewusstsein rücken?

Meine individuellen Kaufentscheidungen haben für sich allein wenig Wirkung. Doch kann ich durch mein Verhalten Vorbild sein und in Gesprächen das Bewusstsein im Familien- und Freundeskreis schärfen, und auch für mich die Aufmerksamkeit fürs Thema präsent halten.

Ich sehe die Wirtschaft in erhöhter Verantwortung. Sie hat einen grösseren Hebel als das Individuum. Wir müssen versuchen, gemeinsam die politischen Rahmenbedingungen zu verändern, damit die (Privat)Wirtschaft diesen Gestaltungsraum auch nutzt.

Wie beurteilst du die aktuellen politischen Debatten?

Ich vermisse das Denken in grossen Zusammenhängen. So wird beispielsweise beim Boykott russischen Erdöls und Erdgases lediglich überlegt, aus welchem anderen Land die Schweiz ihr Erdöl und Erdgas beziehen kann. Der Ausstieg steht nicht im Zentrum der Debatte.

Oder es wird problematisiert, dass Junge nicht mehr so viel arbeiten wollen. Dies wird als Gefahr für unser Wirtschaftswachstum gesehen. Dabei hat eine Verlangsamung auch positive Seiten, gerade für die Einschränkung des CO2-Ausstosses. Diese Fragen prominent zu diskutieren hiesse, sich ein anderes Wirtschaftssystem vorzustellen, das Mensch, Mitwelt und Sorgearbeit ins Zentrum stellt.

Wie bleibst du angesichts dieser Kritik optimistisch?

Am Familientisch meiner Enkelkinder werden meine Themen diskutiert, z.B. das Plastikfasten. Mein Engagement zieht Kreise. Und ich weiss: Veränderungen kommen nicht von allein. Wir müssen den Boden bereiten, und – nach Erich Fried – „Vorübungen für Wunder“ pflegen. Über mein Engagement und mein Netzwerk bin ich in Kontakt mit vielen Menschen auf der ganzen Welt, die mithelfen, den Boden für eine nachhaltige Welt zu bereiten.

Herzlichen Dank, Gaby, für das Gespräch!

Lesetipps von Gaby Belz

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Portrait Gaby Belz
Gaby Belz

Vorstandsmitglied von Wirtschaft ist Care, Projektverantwortliche bei Gemeinwohl-Ökonomie. Email an Gaby Belz

Links:

Crochet Coral Reef im Schlossmuseum Linz

TED-Talk „The beautiful math of coral (and crochet)„, Margaret Wertheim (englisch, deutsche Untertitel)

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